Bewegende Aufklärung

Krankenschwester Judith haucht die Kerze aus, flüstert im Halbdunkel ein "tschüss, Ronald". Fast totenstill ist es in der Aula der Willy-Brandt-Gesamtschule, als der schon hinter der Bühne entschwundene Ronald Lebewohl sagt: "Tschüss, Nachtigall".
Den meisten Schülern geht dieser endgültige Abschied unter die Haut. 200 Neuntklässler und Ruhe, das heißt schon was - und Sekunden später donnern sie los: Applaus!
Gebannt verfolgten erstaunlich viele der 14- bis 16-Jährigen aller Neuner-Klassen gestern ein einstündiges, nicht einfach zu schluckendes Zwei-Personen-Stück, das auch von Lehrern höchste Konzentration erfordert. "Dossier: Ronald Akkerman" ist kein schnelles Spiel im Actionformat, es ist ein tiefgreifendes Zwiegespräch - wenn auch oft in jugendlich-deftiger Umgangssprache.
Krankenschwester Judith will nach der Beerdigung von Ronald, der mit 34 an Aids starb, die Akte schließen. Doch seinen Geist wird sie nicht einfach los wie ein Stück Papier: Erst nach einer zutiefst emotionalen Auseinandersetzung mit Ronald schafft sie es, Abschied zu nehmen. Von dem Mann, den sie 18 Monate pflegte, der ihr Leben prägte. Der in seiner ganzen Hilflosigkeit scharf ätzte gegen sie, aber auch um ihre Zuneigung flehte. Der Mann, mit dem sie nie so richtig umzugehen wusste - und er nicht mit ihr.
Es geht um Liebe, Leben und Sterben mit Aids; um das Leiden und die Ausgrenzung eines schwulen HIV-Infizierten, der den Tod vor Augen hat; es geht um viele gesellschaftskritische "Tabu-Themen" in einer Theater-Stunde, die vor allem das will: für Toleranz werben, über Aids aufklären. Das gelingt, weil die Schauspieler Beate Albrecht und Achim Conrad die Schwere des Stoffes bewegend und einfühlsam rüberbringen.
Aber was bleibt wirklich hängen?
"Ich wusste nicht, dass man bei Aids so schwer leidet, dass man sich zum Beispiel nicht bewegen kann", sagt Martin (15). Es ist wohl diese Szene, die viele so schnell nicht vergessen werden - als Ronald Schwester Judith angiftet: "Drei Stunden lag ich in meiner eigenen Scheiße, konnte meinen Arsch nicht abputzen. Weißt du eigentlich, was Scham ist?"
Auch Natalie (15) gingen die Leiden des Patienten schwer unter die Haut, und ihre vier Freundinnen aus der 9e, die sich hinterher noch eindeckten mit Info-Broschüren über Aids und Aufklärung, stimmen sofort zu: "sehr lehrreich" fanden sie das Stück. Dies auch in einem Punkt, der täglich eine Rolle spielen kann. Nie standen Judith und Ronald ja zu ihren Gefühlen, nie redeten sie über das, was sie bewegte. Deshalb konnte Judith nicht loslassen, brauchte das klärende Gespräch mit seinem Geist. "Man sollte", sagt Alina (16), "lieber immer gleich miteinander reden."